Barrierefreiheit und Design für Alle - nicht nur im gebauten Raum
Definitionen und Geltungsbereiche
Mittlerweile ist Barrierefreiheit in Deutschland gesetzlich verankert. Zu nennen sind hier das Grundgesetz, das Behindertengleichstellungsgesetz, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, das Baugesetzbuch, die Landes- und Musterbauordnung des jeweiligen Bundeslandes, die DIN 18040 Teil1-3 etc…. Doch Papier ist geduldig und wo kein/e KlägerIn, da kein/e RichterIn…
Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern wie bspw. Schweden haben wir eine exklusive statt eine inklusive Gesetzgebung – was bedeutet, dass barrierefreies Planen und Bauen in einem extra Gesetz abgehandelt wird und (noch) nicht selbstverständlich als allgemein vorteilhaftes und nachhaltiges Qualitätsmerkmal in allen Gesetzen enthalten ist.
Übrigens sind wir das einzige Land, welches den Begriff „Barrierefreiheit“ überhaupt verwendet. Der Negativbegriff „Barriere“ ist noch immer enthalten. Andere Länder sprechen von Zugänglichkeit (Accessibility).
Die Zielgruppe des barrierefreien Planens und Bauens gemäß Behindertengleichstellungsgesetz ist dabei leider viel eingeschränkter als man meinen könnte – sie bezieht sich nämlich nur auf die Menschen mit Beeinträchtigungen, die im Alltag sowieso ohne fremde Hilfe auskommen! Das war mir selber lange Zeit nicht klar. Siehe hier
Die aktuelle DIN 18040 Teil 1-3 für barrierefreie öffentliche Gebäude, Wohnungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und RollstuhlfahrerInnen sowie barrierefreie Verkehrs- und Freiräume enthält dabei keine Kochrezepte, die blindlings angewendet werden können. Die DIN benennt sog. Schutzziele, die erreicht werden müssen – auf welchem Weg ist der Kreativität des Planenden überlassen. Dabei wurden erstmals die sensorischen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen besonders berücksichtigt.
Eine umfassend informative Internetplattform zu diesem Themenkomplex ist Nullbarriere.
Die nachhaltigen Design-Konzepte Universal Design (Universelles Design; USA, Japan) und Inclusive Design (Inklusive Design; UK) gehen über diesen Ansatz hinaus und zielen darauf ab, ALLEN Menschen möglichst(!) eigenständig nutzbare Produkte, Dienstleistungen etc. zur Verfügung zu stellen. Auch die Marktorientierung spielt hierbei eine Rolle. Das Design für Alle (Design for all) hingegen hat einen europäischen Ursprung und verfolgt nochmals einen gesteigerten Ansatz, nämlich den der Nutzereinbindung in den Entwicklungsprozess! Dieses Vorgehen ist bei allen anderen Vorgehensweisen nicht vorgeschrieben. Ausser den genannten Design-Konzepten gibt es noch das Zugängliche Design mit einer eingeschränkten Ausrichtung auf Menschen mit Behinderung. Eine veranschaulichende Abgrenzung der Konzepte voneinander finden Sie hier
Übrigens: EDAD – Design für Alle Deutschland e.V. ist die deutsche Mitgliedsorganisation des EIDD „Design for All Europe“ mit Partnern in 23 europäischen Staaten.
Persönliche Erfahrungen
Inklusiv oder exklusiv?!
Ein veranschaulichendes Beispiel hierzu ist die „Toilettenphilosophie“. Exklusiv – es gibt drei Kategorien in Sachen Toilette – weiblich, männlich oder schwerbehindert. Entweder ich treffe als Rollifahrerin also auf die gute alte Schwerbehindertentoilette, die mir bestenfalls alles bietet, was ich behinderungsbedingt brauche (und die hoffentlich nicht durch Putzwägen, Getränkekisten oder dem Toilettenpapiervorrat für die gesamte Einrichtung blockiert wird) – dann muss ich in Kauf nehmen, dass diese Räumlichkeit einem sexuellen Neutrum, nämlich dem/der Schwerbehinderten an und für sich vorbehalten ist und somit von Männlein UND Weiblein benutzt wird. (Oder von sonst wem, der/die ggf. den richtigen Schlüssel zur Hand hat… falls denn überhaupt abgeschlossen war…) ODER ich treffe in der Damentoilettenanlage auf eine Großraumkabine, die meiner Erfahrung nach NICHT alle nötigen Nutzungsmerkmale vorhält – und bin dann jedoch wenigstens „allein unter Frauen“ aufgeschmissen. Das wäre dann inklusiv geplant sozusagen… Ein Zugeständnis muss ich also in dieser Hinsicht in Deutschland bislang machen, ob es mir passt oder nicht… und im Zweifel ist mir NATÜRLICH die Funktionalität wichtiger als die Philosophie!
Ich habe viele spannende, teils haarsträubende Erlebnisse durchlebt in meinen fast 30 Jahren im Rollstuhl. Die heftigsten Negativerfahrungen haben sich tatsächlich im Zusammenhang mit Schwerbehindertentoiletten oder der Deutschen Bahn abgespielt. Oder auch beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Osnabrück… Dabei bin ich noch privilegiert – als Luxusquerschnitt im Rolli bin ich weder ein „schockierender“ Anblick noch bin ich auf den Mund gefallen – ich versuche es meiner Umwelt möglichst leicht zu machen, und trotzdem fällt es etlichen Menschen schwer, sich in meiner Gegenwart „normal“ zu verhalten. Auf jeden Fall habe ich jedoch auch viel Positives mit anderen Menschen erleben dürfen als Rollifahrerin – und diese Erfahrungen haben mehr Gewicht für mich.
Tatsächlich ist es viel schmerzhafter, wenn die „Software“, also der Faktor Mensch, versagt, als wenn „nur“ mal wieder die „Hardware“, also die gebaute Umgebung oder die Technik, versagt – wenn also irgendwo eine Rampe fehlt oder der Aufzug defekt ist oder der Schwerbehindertenparkplatz zu schmal gebaut wurde…
In der Zeit, in der ich internationalen Leistungssport betrieben habe durfte ich Menschen mit und ohne Handicap aus der ganzen Welt kennen lernen, das war ungemein spannend. Mit Augendolmetscher, Sprachcomputer, Buchstabierbrett oder Händen und Füßen kommunizieren, mit blinden Leichtathleten essen gehen im paralympischen Dorf, mit spastisch behinderten SportkollegInnen auf der Tanzfläche abrocken – das waren supertolle und total positive Erfahrungen.
Diese Erlebnisse und Erfahrungen im Themenfeld „Diversität – wie gehen wir miteinander um?“ gebe ich gerne in lebendigen und interaktiven Veranstaltungen weiter.
Während meiner aktiven Zeit als Rollstuhlfechterin 1995-2000